Wachstumsschmerzen in der Midlifecrisis  – und dann wird es halt anders schön

Midlife-Crisis? Empty Nest? In der Mitte des Lebens mit der Weisheit schon am Ende? Alles auf Anfang? Nein, im großen Ganzen finde ich die aktuelle Phase mit großen Kindern und neuer Freiheit ziemlich gut. Bilanz zu ziehen, ein paar Weichen neuzustellen oder nachzujustieren, ist dennoch hilfreich. Und macht mich demütig und dankbar. Ein paar Gedanken zu einer spannenden Lebensphase, die ursprünglich auf Stadtlandmama erschienen sind.

(Zum Hintergrund: Ich habe mein erstes Kind mit 22 bekommen und seitdem Studium, Freiberuflichkeit und vier weitere Kinder nebeneinander (in relativ entspanntem Tempo und mit viel Unterstützung) gemanagt. Gute zwanzig Jahre war also alles ziemlich durchgetaktet, auf einmal sind ganz neue Freiheiten da. Gleichzeitig wird mir auch mit alten Eltern die Endlichkeit noch mehr bewußt.)

„Genieße es, es geht so schnell vorbei.“ Ich erwische mich dabei, einer jungen Mutter die gar nicht so viel jünger ist als ich, sondern nur zwanzig Jahre später mit dem Kinderkriegen angefangen hat, diesen Spruch ungefragt mitzugeben.

Dabei kann ich mich selbst noch so gut an die Zeit erinnern in der es mit fünf Kindern innerhalb von elf Jahren immer voll, intensiv, laut, anstrengend und auch wunderschön war. Aber eben auch so durchorganisiert, fremdbestimmt und herausfordernd wie es mit Kita, Schule und allem darum nun mal ist.

Und ja, manchmal war die halbe Stunde Mittagsschlaf, der Kaffee in Ruhe, das Treffen abends mit der Freundin, das Date mit dem Mann das Höchstmaß an Flexibilität und Freiheit (Dank vor allem an die Großeltern).

Da ich mit Anfang zwanzig das erste Mal Mutter geworden bin, Studium und Arbeit immer in Teilzeit und Selbstständigkeit nebenherliefen und das für mich und uns so gut war, dachte ich immer, die große Freiheit und Flexibilität genieße ich dann, wenn sie alle groß sind.

Das Abnabeln passiert so viel unauffälliger als nach der Geburt.

Und ganz schleichend ist das passiert. Vier von fünf Kindern sind längst erwachsen, drei mittlerweile ausgezogen, der Jüngste, bald fünfzehn und auch schon sehr selbstständig.

Auf einmal ist es ruhig. Alle an einen Tisch zu bekommen, wird immer seltener und umso mehr gefeiert. Ein Kind in Fernbeziehung fragte, ob es okay wäre, Weihnachten mit der Familie des Freundes zu feiern. Natürlich ist das okay. Sowas von, die Liebe geht vor und wir sind schließlich nicht alt und einsam…(Und selbst dann wäre es okay).

Moment, denke ich immer öfter, genauso schleichend, wie alle erwachsen geworden sind, bin ich alt geworden. Auf einmal bin ich in dem Alter, in dem ich meine Eltern schrecklich alt fand. Und dachte, dass das Leben quasi vorbei wäre. In zwei Jahren bin ich fünfzig. Fünfzig! Die Protagonistin in meinem neuen Roman ist fünfzig und ich habe vor zwei Jahren mit dem Buch angefangen, als hätte diese Frau gar nichts mit mir zu tun. (Hat sie natürlich wie jede meiner Protagonistinnen, auch wenn ihre Geschichte nicht meine ist, die Gefühle kenne ich zum Großteil.)

Wenn ich mal wieder vergesse, meine Haare zu färben, sehe ich auf Fotos immer mehr aus wie meine Mutter, wenn mein Mann mir Vorschläge macht, wie wir unser Haus für uns später barrierefrei umbauen könnten, werde ich sauer, obwohl wir erst vor ein paar Jahren dasselbe für meine Eltern gemacht haben. Und als einer unserer Jungs letztens meinte, dass der beste Teil des Lebens ja von 0 bis 50 sei, weil man da noch Spaß hätte (vielleicht hat er auch nur um uns zu schonen nicht von 0 bis 30 gesagt), konnten wir zumindest gemeinsam darüber lachen. Wenn unsere Kinder wüssten!

Wehmut über Chancen und Gelegenheiten, die nicht wiederkommen.

Trotzdem spüre ich immer wieder Wehmut darüber, dass die Kinderphase bald ganz vorbei ist, dass selbst für Optimisten mit Ende vierzig das Leben halb rum ist, dass manche Träume Träume bleiben, dass die Endlichkeit immer greifbarer wird, genau wie die eigenen Grenzen.

Theoretisch ist die große Flexibilität auf einmal da. Im Herzen ist sie noch nicht zu 100 Prozent angekommen. Ich wundere mich manchmal immer noch, wenn ich im Büro sitze und meine Kolleginnen oder Kollegen vor mir nach Hause gehen, weil die Kinder von der Schule oder Kita abgeholt werden müssen. Früher war ich doch immer die, die jeden Job, jede Party zuerst verließ oder erst gar nicht hinging.

Ich weiß noch, wie aufregend sich in Kleinkinderphasen eine Stunde für mich allein anfühlte. Und wie groß nach jedem Kitabesuch die Wiedersehensfreude gleichzeitig auf beiden Seiten war. Als mein Mann und ich letztes Jahr das erste Mal seit fünfundzwanzig Jahren eine Woche allein verreist sind und dann auch noch, ohne zu Hause eine Betreuung zu brauchen, war das fantastisch. Aber auch ein bisschen traurig, dass uns nur der Hund wirklich vermisst hat. Und alle anderen die sturmfreie Bude wie ich in dem Alter genossen haben.

Ja, es tut ein bisschen weh, für die wichtigsten Menschen im Leben nicht mehr so wichtig zu sein und es macht stolz, dass sie so eigenständig geworden sind. Oder es schmerzt, im Nachhinein zu erkennen, Dinge heute vielleicht auch anders machen zu würden, nicht immer allen gerecht geworden zu sein.

Auch beruflich stimmt mich manche Bilanz nachdenklich. Etwa wenn mir bewusst wird, dass die ewig lange Teilzeit dazu geführt hat, dass ich in manchen Punkten nicht da bin, wo ich mich mit Mitte zwanzig in meinem Alter noch gewähnt habe. Und selbst wenn die Familienphase irgendwann vorbei ist, das Energielevel ist nicht mehr das aus den Zwanzigern und Dreißigern. Und wo alte Verantwortlichkeiten wegfallen, tun sich schnell neue auf. Die Sorge um die Kinder wird kleiner, um die Eltern größer. Wodurch ich mich auch immer mehr gefragt habe, wie ich später einmal leben will und ob die Weichen dafür richtig stehen.

Zeit Bilanz zu ziehen und die Weichen nachzujustieren.

Mein 47. Lebensjahr war für mich ein Jahr des Hinterfragens. Auch mich selbst. (Ich glaube, es war in dem Buch „Midlife“, dass das 46. Lebensjahr als durchschnittlicher Tiefpunkt im Leben der meisten empfunden wird 😉).

Und trotz mancher Abschiede, Konsequenzen, auch wehmütiger oder manchmal bitterer Erkenntnis, die noch durch die allgemeine Weltlage der letzten Jahre befeuert wurde, bin ich unendlich dankbar für diese ersten Jahrzehnte. Natürlich habe ich noch Träume, aber eigentlich nur einen großen Wunsch: dass bei aller Veränderung alles so bleibt wie es ist. Nicht alles, aber das, was so schön ist. Die Beziehung zu meinem Mann. Zu unseren Kindern. Das Glück, beruflich meine Berufung leben zu können. Die vielen lieben Menschen in unserem Leben.

Zeit für Dankbarkeit

Ganz ehrlich, wenn die gute Fee käme, würde ich mir einfach nur wünschen, dass wir mit achtzig Hand in Hand auf heute zurückschauen. Immer noch eine gute Beziehung zu unseren Kindern haben – in einer friedlichen und sicheren Welt für alle.

Bei diesem Gefühl weiß ich, was ich mir für die zweite Lebenshälfte vornehmen möchte: das Glück, das da ist, viel stärker zu genießen, auszukosten oder überhaupt wahrzunehmen. Mir mehr Zeit für die Menschen und Tätigkeiten zu nehmen, die ich liebe, mich von allem anderen mehr abzugrenzen. Meine Energie weise einsetzen. Weiter zu träumen, optimistisch bleiben, mutiger werden und gelassener. Noch gelassener. Mehr im Moment leben. Viel mehr zur Ruhe kommen, nachdem die letzten zweieinhalb Jahrzehnte sehr voll waren.

Denn nichts von dem Glück, was schon da ist, ist selbstverständlich. Was wäre das für eine Verschwendung, es nicht zu genießen.

Das Glück guter Vorbilder

Und wenn ich mich so bei Freundinnen oder Kolleginnen umschaue, die zehn oder auch zwanzig Jahre älter sind, die nie Kinder hatten oder lange keine Kinder mehr zuhause haben, verliere ich die Sorge davor, dass das Beste nach dem 50. Geburtstag und der intensiven Familienphase vorbei ist. Ganz im Gegenteil. Vielleicht wird es besser. Vielleicht einfach anders schön.

Ganz sicher will ich mir die Zeit dann nicht mit Gedanken über graue Haare, verpasste Chancen, mehr Falten und weniger verbleibender Lebenszeit trüben. Vielleicht ein neuer Punkt auf der Bucket-List: den eigenen Kindern in Sachen Lebensfreude unabhängig vom Alter und der Leistungsfähigkeit auch in vierzig Jahren ein Vorbild sein.

Sehr wahrscheinlich würde mein achtzigjähriges Ich mir heute zurufen, dass ich die Zeit jetzt genießen soll. So wie ich meinem jüngeren Ich. In eine neue Lebensphase hereinzuwachsen, zieht meistens etwas, aber in der alten mental und emotional stecken zu bleiben, tut wahrscheinlich auf Dauer mehr weh.

Passend zum Thema bricht für Charlotte in „Die Bibliothek der zweiten Chancen“ auf einmal alles weg, nachdem sich die fünfzigjährige, verwitwete Bibliothekarin mit ihren beiden Töchtern jahrelang ganz gut als alleinerziehende Mutter eingerichtet hat. Eine Tochter zieht aus, die andere macht ein Auslandsjahr und die Bibliothek, in der sie damals ihre große Liebe kennengelernt hat, wird auch noch abgerissen! Ausgerechnet die Freundschaft mit einer jungen Frau, die kurz vor der Hochzeit und unter hohem Selbstoptimierungsdruck steht und das ganze Familiending noch vor sich hat, lässt Charlotte an längst vergessene Träume anknüpfen.

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